25. Juli 2021, Wolfram Husemann, Martin Meister
Die Klimakrise - Auswirkungen und notwendige Maßnahmen
Die aktuelle Hochwasserkatastrophe in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mit dem unerträglichen Leid für die betroffenen Menschen und den immensen Zerstörungen hat es gezeigt: Deutschland ist noch nicht gut genug auf Hochwasser, Hitzewellen und weitere Extremwetterereignisse infolge der Klimakrise vorbereitet. Flüsse bräuchten wieder natürliche Überflutungsflächen, Böden müssten entsiegelt und Frischluftschneisen geschaffen werden.
Flächenverbrauch in Neustadt: kein "Weiter so"
Der in Deutschland grassierende Flächenverbrauch (eine Fläche vom Umfang der Großstadt Frankfurt am Main wird jährlich "verbraucht") und die damit einhergehende Versiegelung der Landschaft
ist ein Beitrag des noch ungezügelten Ressourcenverbrauchs der entwickelten Länder, der die Welt in eine nur schwer aufzuhaltende Klimakrise geführt hat. Der NABU Neustadt lehnt die
Änderungswünsche der Stadt Neustadt am Regionalplan Rhein-Neckar aus diesem Grund ab. Unsere Meinung ist: wenn nicht von Anfang an, schon in der regionalen Vorplanung, dieser Entwicklung Einhalt
geboten wird, wird es nur schwer gelingen, diesen unheilvollen Trend aufzuhalten.
Protest des NABU: kein "Missverständnis", sondern Ergebnis detaillierter Analyse
In der Presse (mehr hier) wurde zur Haltung der Naturschutzverbände
zu diesem Thema seitens der Stadtführung von einem „Missverständnis“ gesprochen, nachdem diese vor der Stadtratssitzung am 13.07.21 gegen die Änderungspläne demonstriert hatten.
Wir haben uns sehr intensiv und detailliert mit dem Thema auseinandergesetzt:
- Wir haben uns über die Aufgaben der Regionalplanung, die ursprünglich das Ziel hatten, den Flächenverbrauch wirksam zu begrenzen, informiert
- Wir haben uns die Pläne bzw. Anmerkungen der Stadtverwaltung sehr intensiv angeschaut und bewertet
- Wir haben das „Wunschkonzert vieler Ortsbeiräte“ zur Gewährleistung von „Beinfreiheit“ analysiert und
- wir haben registriert und analysiert, was in der Bundespolitik und auf europäischer Ebene zum Thema Flächenverbrauch öffentlich artikuliert wird.
Uns ist von Anfang an klar gewesen, dass eine mögliche zusätzliche Flächeninanspruchnahme nur nachfolgend in einer Flächennutzungsplanung und Bauplanung erfolgen kann. Unsere Haltung zu den von
der Stadt beschlossenen Änderungen ist deshalb alles andere als ein Missverständnis. Der Begriff ist eher geeignet, Mitbürger*innen, die mit der Materie nicht so tief vertraut sind, auf die Seite
der Stadt zu ziehen.
Schon den ersten Schritt Richtung weiteren Flächenfraß verhindern
Wir vertreten die Auffassung, dass schon der erste Schritt im drohenden weiteren Flächenverbrauch unterbunden werden muss. Wenn die Ziele, die von der Bundesregierung und der Europäischen
Kommission formuliert bzw. beschlossen wurden, erreicht werden sollen und damit wirksam gegen den fortschreitenden Klimawandel, die ständig fortschreitende Flächenversiegelung und das sich
beschleunigende Artensterben angekämpft werden soll, kann man sich nicht so kurzsichtig verhalten, wie es in diesem Beschluss getan wurde.
Der NABU ist auch überzeugt, dass Wirtschaft und Ökologie kein Widerspruch in sich sein müssen, wenn das Wirtschaften auf eine nachhaltige Art und Weise erfolgt und beachtet, dass die Natur
langfristig das Überleben der Menschheit sichert. Kurzfristiger Profit geht aber allzu oft auf Kosten zukünftiger Generationen. Dies kann man schon heute an aktuellen Entwicklungen ablesen und es
gilt, solche Entwicklungen aufzuhalten. Das Wetterereignis in der Eifel führt uns die möglichen Folgen vor Augen.
Neustadter Kommunalpolitiker: Schuss noch nicht so richtig gehört?
Wir fragen die verantwortlichen Politiker: Müssen Naturkatastrophen wie im Norden von Rheinland-Pfalz und in Teilen Nordrhein-Westfalens noch häufiger und bei uns passieren, bis man auch in
der Lokalpolitik in Neustadt den „Schuss so richtig gehört“ hat?
Bundesumweltministerium: Politischen Entscheidungsträgern mangelt es an nötigem Problembewusstsein
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit schreibt zum Thema Flächenverbrauch in Deutschland und zum Verhalten politischer Entscheidungsträger (Quelle
hier):
„Täglich werden in Deutschland rund 52 Hektar als Siedlungsflächen und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Dies entspricht einer Flächenneuinanspruchnahme – kurz Flächenverbrauch – von circa 73
Fußballfeldern. Zwar lässt sich "Fläche" im engeren Wortsinn nicht "verbrauchen". Fläche ist jedoch – wie auch der Boden – eine endliche Ressource, mit der der Mensch sparsam umgehen muss, um
sich seine Lebensgrundlagen zu erhalten. Flächenverbrauch ist ein schleichendes Phänomen. Bürger und selbst politische Entscheidungsträger nehmen es kaum wahr. Daher mangelt es weithin am nötigen
Problembewusstsein. …“
Der Punkt „mangelndes Problembewusstsein“ scheint nach der Entscheidung im Stadtrat für die Änderungswünsche der Stadt auch für die Neustadter Lokalpolitik in großem Umfang zuzutreffen.
Wasser predigen und Wein trinken
Die Flächenverbrauchsziele der Bundesregierung, die sich nach unserem Kenntnisstand aus der CDU, CSU und der SPD zusammensetzt, hat diese im Klimaschutzplan 2016 formuliert. Wir stellen frei nach
Heinrich Heine (aus „Deutschland. Ein Wintermärchen“(Quelle hier) fest, dass man in Berlin offenbar Wasser predigt und in Neustadt Wein trinkt (nie passte dieses Zitat
besser!).
Wir gönnen uns in Neustadt einen Klimaschutzmanager, machen Workshops zum Klimaschutz und erstellen eine Klimaschutzstrategie. Wir regen uns auf, wenn Winzer ihre Privilegien nutzen und große
Hallen in die Landschaft bauen. Aber als Kommune wollen wir uns die Möglichkeit einräumen, weitere Flächen in Anspruch zu nehmen, uns quasi einen richtigen „Schluck aus der Pulle“ gönnen zu
können, ohne über die klimatischen Folgen nachzudenken. Jeder Winzer kann erzählen, wie selbst kleinflächige Unterschiede in der Landschaft das lokale Mikroklima beeinflussen.
Photovoltaik in neuem Gewerbegebiet ist "Greenwashing"-Taktik
Mit dem Lockruf nach Photovoltaik und deren besonderen Wirtschaftlichkeit in neuen Gewerbegebieten betreibt man nach unserer Empfindung eine besondere „Greenwashing-Taktik“. Wir sagen: Solange in
Neustadt nicht alle großen versiegelten Flächen wie Parkplätze mit Photovoltaik ausgestattet sind (als Beispiel seien nur die – auch wieder großzügig genehmigten und voll versiegelten - Flächen
auf Einzelhandelsmärkten genannt wie z.B. Globusmarkt, Lidl-Märkte, Aldi-Märkte, Media-Markt) und nicht jede freie Dachfläche für Photovoltaik genutzt ist, sollten wir nicht darüber
nachdenken, freie Flächen der Natur zu nehmen und diese mit Photovoltaik zuzupflastern. Wir verweisen an dieser Stelle ausdrücklich auf die Stellungnahme im Naturschutzbeirat, in dem solche
Planungen kategorisch abgelehnt wurden.
Maßstäbe der Regionalplanung nicht berücksichtigt - Wunschkonzert von Ortsbeiräten
Während in der Regionalplanung die Berücksichtigung von bestehender Infrastruktur (z.B. Nähe zu Bahnhöfen) bei Erweiterungsmöglichkeiten von Baugebieten berücksichtigt wird, spielt dies im
Wunschkonzert mancher Ortsteile offenbar keine Rolle. Wir bezeichnen dieses Ansinnen als fahrlässig und nicht verantwortbar.
Vernachlässigung von ungenutzten Potenzialen durch mehr "Beinfreiheit" bei Planung zusätzlicher Bauflächen
Nach Aussage der städtischen Mitarbeiterin im Umweltausschuss stehen im Innenbereich noch ca. 16 ha (!) an Wohnbauflächen zur Verfügung. Nicht berücksichtigt sind nach unserer Kenntnis Flächen
kleiner als 2000 m² und Leerstände, die in privater Hand und ungenutzt sind. Das heißt, dass man offenbar noch gar keinen umfassenden Überblick über freie Flächen für Innenentwicklung hat. Wurde
jemals intensiv und umfassend geprüft, wie und mit welchen Mitteln Neustadt diese Flächen zur Nutzung bringen kann?
Im Lichte dieser Betrachtung ist die Notwendigkeit nach „Beinfreiheit“ für klimaschädliche Expansion kritisch zu hinterfragen. Die demographische Entwicklung kann auch nicht als Argument für
weitere Flächenexpansion herangezogen werden. Dass der Zuzug in die Metropolregion und nach Neustadt nicht über vorhandene Flächenpotenziale aufgefangen werden kann, ist nicht belegt und offenbar
auch gar nicht intensiv untersucht.
Auch im Gewerbebereich gibt es derzeit riesige Leerstände (z.B. ehem. Hela Baumarkt, altes Aldi-Gelände). Wenn derselbe potenzielle Investor in mehreren Gemeinden nach Bauland fragt, erzeugt das
vor Ort den Eindruck, als könne man diese Wünsche nicht befriedigen - mit der fatalen Konsequenz, dass jede Gemeinde hübscher sein möchte als ihr Nachbar. Die Folge wird entsprechend
überflüssiger Flächenverbrauch mit zunehmenden Leerständen sein.
NABU-Argumentation verwendet die Aussagen der Bundesregierung
Alle Argumente, mit denen wir die ursprünglich im 1. Änderungsentwurf des Regionalplans für Neustadt an der Weinstraße genannten Gebiete NW01-05 ablehnen (auf NW 02 wird erfreulicherweise ja
schon verzichtet), sind die Argumente der Bundesregierung bzw. des Bundesumweltministeriums. Diese Argumente treffen aber auch für alle weiteren Änderungswünsche der vergangenen Tage zu, obwohl
zu den neueren „Beinfreiheitswünschen“ noch gar keine Umweltprüfungen vorliegen. Die Stellungnahme des NABU Neustadt findet man unten.
Überregional hat unsere NABU-Geschäftsstelle Süd in einer Presseerklärung Stellung bezogen (siehe ebenfalls unten).
Insgesamt ist unser Eindruck, dass das Thema Flächenverbrauch und Flächenversiegelung einen viel höheren Stellenwert im täglichen Handeln aller braucht – auch die Stadt Neustadt sollte sich dem
wahrnehmbar annehmen.
Wir hoffen, dass unsere Argumente in der weiteren Diskussion Berücksichtigung finden und die mögliche Flächennutzungsplanung als nächster Schritt erst gar nicht in Erwägung gezogen wird.
NABU-Appell zur Bundestagswahl: Wahlentscheidung am Tun der politischen Parteien ausrichten
Am 26. September 2021 ist Bundestagswahl. Der NABU appeliert an alle Wählerinnen und Wähler, sich bei ihrer Wahlentscheidung nicht an Absichtserklärungen in Wahlprogrammen, sondern am Einsatz und
Tun der politischen Parteien für den Klimaschutz zu orientieren.